Interview

Blätter der Wohlfahrtspflege, München März 1999:

1. Sie haben Vorbehalte gegen den Begriff der Integration. Warum?
In der gesellschaftlichen und politischen Diskussion lassen sich mit dem Begriff der Integration von Ausländern alle Formen des Umgangs mit und der Einstellung zu Ausländern umschreiben: Von der Anpassung (Assimilation) bis zur Ausgrenzung "Integrationsunwilliger". Die aktuelle Diskussion zum Doppelpaß und die Unterschriftenaktion der Union dagegen legen ein beredtes Beispiel dafür ab, daß sich die kontroversesten politischen Positionen auf diesen Begriff beziehen und ihn als einen "Kampfbegriff" nutzen, ohne ihn inhaltlich klar zu umreißen. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, daß Migration und Integration Prozesse sind, die Zeit und Rahmenbedingungen brauchen, damit der Prozeß gelingen kann. Er erfordert die Bereitschaft zur Interaktion und Veränderung auf beiden Seiten, bei der Mehrheit und der Minderheit. Ein Begriff, der eher der Verschleierung als einer klaren Definition von Zielen und Bedingungen dient, erscheint mir unbrauchbar.

2. Sie stellen den Begriff der "Fremdheitskompetenz" dagegen. Was verstehen Sie darunter?
Ich habe diesen Ansatz zusammen mit meinem Kollegen Karl Schattenhofer entwickelt und will hier auf unsere gemeinsamen Überlegungen Bezug nehmen. Auf der gesellschaftlichen Ebene besteht zweifach Handlungsbedarf:

Fremdheitskompetenz von Einzelnen kann mit den folgende Fähigkeiten und Verhaltensweisen beschrieben werden:

3. Sie haben aber auch gewisse Vorbehalte gegen diesen Begriff. Warum halten Sie ihn dennoch für hilfreich ?
Unserer Erfahrung nach "verkauft" er sich sehr gut, vielleicht weil er etwas ausdrückt, was viele gesucht haben, vielleicht aber auch, weil er eine unmögliche Verbindung herstellt und etwas verspricht, was nicht zu halten ist. Fremdes läßt sich nicht einfach in Bekanntes auflösen, es bleibt immer ambivalent. Kompetenz verspricht aber genau das: Wenn das Fremde schon nicht beherrschbar ist, so können wir doch kompetent damit umgehen und schon ist es nicht mehr so fremd.
Mit dem Begriff wird zudem die Aufmerksamkeit von den Fremden auf die Inländer gelenkt, die mit Fremden konfrontiert sind. Nicht die Fremden sind Ziel und Akteure der Maßnahmen. Fremdheit wird als Beziehung verstanden, die auf eine bestimmte Weise gestaltet wird und deren Gestaltung sich verändern kann.
Es werden Schritte beschrieben in Richtung von "mehr" Kompetenz im Umgang mit Fremdheit, die sich für Individuen, Gruppen, Organisationen und natürlich auch auf gesellschaftlicher und staatlicher Ebene benennen und zumindest teilweise operationalisieren lassen. Es handelt sich aus unserer Sicht also um tatsächlich erwerbbare und entwickelbare Kompetenzen. Den Lernprozeß verstehen wir als offenen Reflexions- und Entdeckungsprozeß mit einem ungewissen Ausgang.

4. Die Deutschen gelten als reiselustiges Volk. Tragen die vielen Auslandsreisen nicht auch dazu bei, die Fremden zu Hause besser zu verstehen?
Nein! Reisen als ein kollektiver Lernprozeß im Umgang mit Fremden und Andersartigkeit bildet offensichtlich nicht so, wie gern behauptet wird. Reisen und der Alltag zu Hause sind zwei getrennte Erfahrungswelten, die erlebte Gastfreundschaft z.B. in Griechenland bewirkt keinen "zivilisierten" Umgang der meisten Deutschen mit den Fremden hier. Zugespitzt heißt das für unseren Umgang mit Fremden und Fremdheit: Die meisten suchen in der Fremde nach ein bißchen Exotik aber vielfach nach dem Vertrauten, dies ist ein sicheres Muster zur Orientierung in einer verunsichernden, fremden Situation.

5. Wie können soziale Organisationen und ihre Professionellen Fremdheitskompetenz erwerben?
Organisationen und die darin tätigen Mitarbeiter, die für sich Fremdheitskompetenz entwickeln wollen, müssen sich mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

Mögliche Aneignungsformen sind Beratung, Fortbildung, Team- und Organisationsentwicklung und die praktische Auseinandersetzung innerhalb von Teams.

Zum Schluß
Dies ist ein Plädoyer für einen bewußten Umgang mit Unterschieden, Uneinheitliches nicht nur als etwas Feindliches zu betrachten, Brüche nicht nur bedrohlich sondern als reizvoll anzusehen. Fremdheitskompetenz bedeutet auch die bewußte Wahrnehmung und den Umgang mit den Unterschieden und Widersprüchen in der eigenen Person und Organisation. Hier sind alle gefordert, man kann gleich beginnen, ohne darauf zu warten, daß die anderen erst die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.